Johannes Meier – Predigt im Hochamt der St. Laurentius-Gemeinde zum Fest Kreuzerhöhung im Konventsgarten

„Als die Frau das Kind beruhigt, die Hühner gefüttert und andere Dinge des Hauses getan hatte, schob sie den Holzriegel vor die äußere Tür, ging in die Kammer und hub mit den kleinen Glocken des Kirchleins zu läuten an. Dann entzündete sie zwei Kerzen, die am Altare standen, und dann tat sie ein Gebet, wie ich meiner Tage kein ergreifenderes gehört habe. Sie kniete vor dem Kirchlein, streckte die Hände aus und murmelte: ,Von wegen der Marterwunden deiner rechten Hand, du kreuzsterbender Heiland, tu meine verstorbenen Eltern erretten, wenn sie noch in der Pein sind…Von wegen der Marterwunden deiner linken Hand laß Dir empfohlen sein meiner Tochter Seel…‘.“

Peter Rosegger überliefert in einer der Erzählungen aus seiner steirischen Heimat („Als ich zur Drachenbinderin ritt“) ein häusliches Gebet zu den fünf Wunden Christi, das von einer alten Bäuerin kurz vor ihrem Tod in Betrachtung eines kleinen, kapellenartigen Hausaltars gesprochen wurde. Ganz ähnliche Beobachtungen hätte er vor ein oder zwei Generationen auch in unserer Heimat machen können.

 

Liebe Gemeinde,

es ist eine schöne Fügung des Kirchenjahres 2003, daß dieser letzte Feriensonntag mit der Wiedereinweihung der Klostergärten auf den 14. September fällt, auf ein Datum, an dem sich die Kirche seit sehr alter Zeit an die Auffindung, Bewahrung und Verehrung des heiligen Kreuzes in Jerusalem erinnert.

Das heutige Fest trägt den Titel: „Kreuzerhöhung“. Lesung und Evangelium rufen in Erinnerung: Im Kreuz ist Heil. Jesus ging den Weg der Liebe, der Hingabe, der Entäußerung bis zu dem scheinbar so schändlichen Kreuzestod. Aber gerade dieser Tod ist das Zeichen der Erhöhung des Menschensohnes.

Jedesmal, wenn wir eine Kirche betreten, beugen wir unsere Knie in seinem Namen. Am Karfreitag knien wir alljährlich in einem besonderen Ritus vor dem heiligen Kreuz nieder und ehren es so: Im Kreuz ist Heil.

Vor 870 Jahren wurde hier, an diesem Ort ein Kreuz aufgerichtet, das Kloster der Prämonstratenser. Ein anderer mittelalterlicher Orden, der der Kartäuser, hat das Leitwort: „Stat crux, dum transit mundus.“ „Das Kreuz steht, die Welt vergeht.“

Immer wieder haben Menschen in unserer Gemeinde Kreuze aufgestellt, bei ihren Häusern und Höfen, an den alten Kirchwegen und an Wegegabelungen. Wegekreuze, Kreuze am Weg der Menschen, Kreuzwege, Wege mit dem Kreuz, die wir nicht allein gehen müssen, denn einer geht mit, einer ist schon vorausgegangen.

Die Laurentius-Prozession macht Station an zwei alten Kreuzesstandorten, beim Haus Schlüter und am Schmiedekreuz. Die Kreuze, die dort heute stehen, sind wohl erst 70 oder 80 Jahre alt. Die Bäume, die sie überkrönen, sind älter. Auf der Inschrift an Schlüters Kreuz liest man: „Wanderer, kommt Du vorüber des Weges an dieser Stätte, verweile! – in Andacht und Liebe den sterbenden Heiland zu grüßen.“

Wie gesagt, beide Standorte sind alt. Bei Schlüters verzweigten sich die Wege nach Oelkerort und Heerde, nach Greffen und Marienfeld, nach Osnabrück und Bielefeld. Und am Schmiedekreuz, dessen Name doch wahrscheinlich etwas über Material und Gestalt des Vorgängerkreuzes aussagt, ging es zum Feldbusch oder zum Samtholz, nach Herzebrock oder nach Möhler, nach Paderborn oder nach Soest. Von diesen markanten Punkten im Norden und im Süd-Osten des Dorfes führt die Prozession zur Kirche zurück.

Auf der anderen Seite des Klosters gab es wegen der Axtbachniederung nur eine Straße – mit vier Brücken. Erst hinter der letzten, nach Überquerung des Axtbaches, verzweigten sich die Wege nach Lette und Beelen, nach Hamm oder Münster, nach Cappenberg oder Vollenhove. Diese Wegegabelung kündigt der barocke Doppelbildstock an der dritten Brücke, beim Mühlengraben am Westhoff an, indem er das Stromberger Kreuz und die Telgter Pietä zeigt. Denn auch die Wallfahrer begaben sich hier entweder nach Stromberg oder nach Telgte. Indem der Bildstock beide Heiligtümer miteinander verbindet, zeigt er den Zusammenhang der 12. und 13. Station des Kreuzweges auf: den am Kreuz sterbenden Christus und Maria, die unter dem Kreuz den Leib ihres toten Sohnes hält.

Auch der liturgische Kalender kennt diesen Zusammenhang: Heute ist das Fest Kreuzerhöhung, morgen das Gedächtnis der sieben Schmerzen Marias. Ihr größter Schmerz war die Kreuzigung. Manche Bildstöcke und die verlorene Skulptur in der Schulkapelle in Heerde zeigen die sieben Schwerter, die Marias Brust durchbohren.

So haben unsere Vorfahren, im Glauben angeleitet durch die . Prämonstratenser des Klosters, das Geheimnis des Glaubens in ihrer und unserer heimatlichen Landschaft inszeniert – indem sie Kreuze und Bildstöcke errichteten, indem sie Worte der Heiligen Schrift in die Torbögen ihrer Häuser setzten, indem sie den Kreuzweg gingen, Bittprozessionen hielten und den in der Eucharistie gegenwärtigen Herrn über die Wege und zu den Stationen ihres Alltags trugen und ihn zurück in die Kirche begleiteten, den Mittelpunkt ihrer, unserer Gemeinde.

Heute ist auch der Tag des Denkmals. Uns sind diese Denkmäler des Glaubens anvertraut. Es ist gut, daß uns dieser Tag Gelegenheit gibt, ihre Bedeutung zu erinnern. So können sie Wegmarken unseres Lebens bleiben.

Seit die Prämonstratenser vor 200 Jahren das Kloster verlassen mußten, ist es ja allein die Gemeinde, die bei ihrem im Tabernakel gegenwärtigen Herrn Wache hält. Wir dürfen uns heute freuen, daß sich sein Haus, die Kirche, wieder inmitten schöner, leuchtender Gärten befindet, und wir freuen uns schon auf den Tag, an dem auch die Kirche selbst wieder in hellen Farben strahlt. Aber letztlich sind nicht Gärten und Bauten der heilige Raum, in dem der Mensch gewordene, gekreuzigte und auferstandene Gottessohn in seiner Kraft und seinem Geist anwesend ist, sondern letztlich sind dieser heilige Raum wir Menschen selbst, welche die Anwesenheit Gottes verbindet und zur Kirche macht. Auf dem Primizzettel von P. Jakob stehen Verse von Silja Walter aus dem Dankwort bei der Verleihung des Kulturpreises der Stadt Zürich: daraus zitiere ich:

„Jemand muß zuhause sein, Herr, wenn du kommst. Jemand muß dich erwarten, oben auf dem Berg vor der Stadt.

Jemand muß nach dir Ausschau halten Tag und Nacht. Wer weiß denn, wann du kommst?

Jemand muß wachen unten an der Brücke, um deine Ankunft zu melden, Herr, du kommst ja doch in der Nacht wie ein Dieb.

Wachen ist unser Dienst, wachen. Auch für die Welt. Sie ist so leichtsinnig, läuft draußen herum und nachts ist sie auch nicht zuhause. Denkt sie daran, daß du kommst? Dass du ihr Herr bist und sicher kommst?

Wir bleiben, weil wir glauben. Zu glauben und zu bleiben sind wir da, – draußen am Rande der Stadt.“